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Nur noch eine Woche! Haltet durch, liebe Eltern. Vier von fünf Wochen sind überstanden. Davon waren die zwei Homeschooling-Wochen für mich persönlich die härtesten. Ich brauchte eine ganze Woche, um mich davon zu erholen, ehrlich gesagt. Jetzt liegt die letzte Woche Osterferien vor uns, die schaffen wir locker auch noch. Aber was kommt dann? Müssen Eltern weiterhin ehrenamtliche Lehrer sein? Verstößt das nicht gegen die Menschenrechte und ist reine Quälerei? Ist das noch artgerechte Elternhaltung oder gilt: Homeschooling – null Problemo?
»Tja, da können die Eltern alle mal sehen, was wir Lehrer so leisten!« Diesen Satz hörte ich heute in der Stadt. Ich hatte einen jungen Lehrer in der Stadt getroffen, der auch schnell noch etwas beim Bäcker einkaufen wollte. Im momentan üblichen Zwei-Meter-Corona-Sicherheitsabstand unterhielten wir uns kurz über die aktuelle Situation. Ich fand das Gespräch nett.
Bis ich mir erlaubte zu sagen: »Homeschooling – null Problemo? Was für ein Schwachsinn! Nicht ohne Grund ist das häusliche Unterrichten in Deutschland nicht erlaubt.«
Und dann fiel dieser Satz. Da können wir also mal sehen, was Lehrer so leisten. Ich kann den Aufschrei der Empörung aller berufstätigen Eltern von schulpflichtigen Kindern förmlich durch die Nation schallen hören.
DAS IST HIER DRIN
# Was ist falsch mit euch? Sowas sagt sonst keiner!
Komischerweise habe ich diesen auf den eigenen Beruf irgendwie minderwertigkeitskomplexig klingenden Satz bislang wirklich NUR von Lehrer*innen gehört! Niemals von Ärzten/ Ärztinnen, Krankenschwestern und -pflegern, Lagerarbeiter*innen, Laborant*innen, Müllleuten, Feuerwehrleuten, Polizisten/ Polizistinnen, Verkäufer*innen… Immer nur von Lehrer*innen.
Meine Tochter würde sagen: »Ey, was ist falsch mit dir?« Ich kann mich dem nur anschließen. Denn in dieser Art zu denken liegen gleich mehrere Fehler.
# Warum man Lehrer*in wird
Lehrerkräfte bekommen zunächst einmal schlicht anständiges GELD dafür, dass sie die Kinder fremder Leute unterrichten. Und zwar in einem oder zwei Fächern – vermutlich ihren LIEBLINGSFÄCHERN, die sie sich einst nach ihrem eigenen Abitur SELBST AUSGESUCHT haben. Selbst ausgesucht! Überhaupt haben sie diesen Job völlig ohne Zwang frei gewählt. Eventuell sogar unter anderem deshalb, weil es der persönlichen Neigung entspricht, anderen Wissen zu vermitteln. Womöglich sogar, weil man Kinder und Jugendliche mag.
# Warum man Homeschooling-Mutter wird
Homeschooling-Eltern haben sich nicht nur die Fächer (hallo – es sind außer Sport, Musik und Kunst ALLE Fächer!) nicht selbst ausgesucht, die sie ihrem geliebten Nachwuchs zwischen die Löffel bimsen sollen, sondern die ganze Corona-Situation nicht. Wir müssen auffangen, was von Wirtschaft und Politik versäumt wurde! Ja, klar. Homeschooling – null Problemo!
Warum, zum Teufel, sind die meisten Schulen im 21. Jahrhundert so schlecht ausgestattet an Know-How und Equipment, dass Webinare unmöglich abzuhalten sind?
# Zwangsverpflichtet
Nebenbei bemerkt bekommen Eltern überhaupt keinen Cent für ihren Hilfsunterricht. Stattdessen gibt es Nervenzusammenbrüche, graue Haare und Zornesfalten gratis. Oh, und die Wahrscheinlichkeit ist übrigens hoch, dass diese Eltern in einem anderen als dem Lehrberuf arbeiten und didaktisch nicht so gut drauf sind. Homeschooling – null Problemo?
Obendrein benehmen sich die Schüler während des Unterrichts weitestgehend ganz gut. Das weiß ich aus allererster Quelle, ich habe nämlich meinen Sohn befragt: »Brüllst du im Matheunterricht eigentlich auch so rum und beschimpfst die Lehrerin, sagst, dass du keinen Bock hast und dass sie weggehen (zensierte Ausdrucksweise) und dich in Ruhe lassen soll?« Nee. Macht er nicht. (Hoffentlich stimmt das auch.)
Was ich außerdem anmerken möchte, ist, dass dieses Eigene-Kinder-Unterrichten ZUSÄTZLICH zur normalen (immerhin das ist bei mir normal) Homeoffice* im Brotjob kommt. Ich hatte also beispielsweise zwei 60-Stunden-Wochen.
Dieses Bild der alten Frau, unter dem steht: Dreißigjährige – nach zwei Wochen Homeschooling kommt ja nicht von ungefähr. Oder diese lustigen Bilder von am Boden festgeklebten und geknebelten Kindern, im Hintergrund Mutti, die mit Kopfhörern und den Rücken ihren Blagen zugewandt ihrer eigenen Arbeit nachgeht.
Ey, Leute! Hätte ich Lehrerin werden wollen, dann wäre ich Lehrerin geworden! Mein von mir nach wie vor verehrter und immer mal wieder (zum Beispiel hier) zitierter Englischlehrer hatte Jahre nach dem Abi zu mir gesagt: »Du wärest eine gute Englisch-Lehrerin geworden.«
Ich darauf: »Nein, wäre ich nicht.«
Er: »Warum nicht?«
Ich: »Ich mag keine Kinder.«
Na ja, das stimmt natürlich nicht ganz. Ich mag meine eigenen und wenige andere.
# Voll verschätzt im Homeschool-Pensum
Aber vielleicht wäre ich ja eine super Mathe-Lehrerin geworden. Wer mich gut kennt, wird jetzt amüsiert auflachen… Aber immerhin hätte ich großes Verständnis für alle diejenigen Schüler aufbringen können, die rechnen anstrengend finden – wie durch Watte zu denken.
Das schreibe ich jetzt hier, weil Lehrer*innen, deren Lieblingsfach die Mathematik ist, sich verschätzen könnten, was die Mühseligkeit angeht, mit der die überwiegende Mehrheit der Kinder sich durch ihre Mathejahre kämpft.
Ich meine, von Fünftklässlern zu erwarten, sich ein komplett neues Thema selbst zu erarbeiten, ist auch in Corona-Zeiten recht viel verlangt – selbst für ein Gymnasium! Mein Fünftklässler stand vor den Ferien vor dieser Aufgabe.
Das Pensum sollte auf der Basis von zwei zu lesenden und zu lernenden Buchseiten (mit 1/2 Lerneinheit = 22,5 Minuten veranschlagt) bewältigt werden. Im Anschluss mussten 69 einzelne Aufgaben auf einer Online-Platform mit mindestens 80%igem Erfolg abgeschlossen werden.
Diesen Zeitaufwand bemaß die Lehrerin mit einer ganzen Lerneinheit, also 45 Minuten. 69 Geometrie-Aufgaben in 45 Minuten. Ich kann ja wirklich nicht gut rechnen, aber das schaffe sogar ich: Da hat man weniger als 40 Sekunden pro Aufgabe. Obwohl ihm das Thema liegt, hat mein Sohn fünf Stunden dafür gebraucht.
# Was ist mit Qualitätssicherung? Supervision?
Solch eine Fehleinschätzung ist ganz bestimmt keine böse Absicht. Aber vielleicht verliert der eine oder die andere Lehrende im Laufe der Dienstjahre ein wenig an Bodenhaftung. In Fächern wie Mathe kommt ja nicht wirklich neuer Stoff dazu, Jahr ein Jahr aus wiederholt der Lehrkörper bereits Vertrautes, bis er es automatisch auch im Tiefschlaf kann. Da nimmt es nicht Wunder, wenn Messlatten immer höher gelegt werden. Damit so etwas nicht passiert, wäre eine Unterrichts-Kontrolle durch Kollegen oder ein anderes kompetentes Gremium von Zeit zu Zeit mit Sicherheit sehr sinnvoll.
Tatsächlich müssen sich Lehrer und Lehrerinnen nicht in die Karten schauen lassen, wenn sie nicht wollen. Es gibt keine verpflichtende Supervision. Nach Studium und Referendariat überprüft niemand nimmermehr die Qualität ihres Unterrichts. Bis zur Rente können mehr oder minder untalentierte Lehrende vor sich hinwurschteln und müssen schon mehrfach grobe Verstöße gegen Regeln begehen, ehe ihnen – wenn überhaupt – die Lehr-Erlaubnis entzogen wird.
# Chancengleichheit durch Homeschooling?
Und was ist eigentlich mit der Chancengleichheit? Wenn über Wochen hinweg der Lernstoff nur zu Hause gebüffelt werden kann? Mein Sohn hat Glück (er sieht das anders), denn ich kann ihn unterstützen. Er hat einen ruhigen Arbeitsplatz und gleich mehrere technische Geräte zur (fast) freien Verfügung.
Aber sein Schulfreund, der mit den Eltern und seinen drei Geschwistern in einer winzigen Wohnung lebt, was ist mit dem? Seine Eltern sind keine Muttersprachler, die Geschwister fast alle jünger, Privatsphäre oder Computer gibt es dort nicht.
Experten wie der Chef des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, erwarten diesbezüglich, dass die Bildungsschere bei andauerndem Homeschooling noch weiter auseinandergehen wird. Lest hierzu das Interview mit Meidinger vom 13. April in der »Welt«.
Hier sagt eine israelische Mutter auf YouTube laut und deutlich, was sie vom Homeschooling hält. Sie spricht mir aus der Seele.
Da können die Lehrer mal sehen, was wir Eltern so alles leisten. Homeschooling – null Problemo!
Claudia Stieglmayr
*Tipps für die Homeoffice gibt hier meine Immer-Freundin Andrea auf ihrem Blog.