Beitragsbild für die Rezension zu »Muldental« von Daniela Krien

»Muldental« Daniela Krien

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Diese am 26. Februar 2020 bei Diogenes erschienene Geschichtensammlung ist eine Neuauflage des bereits 2014 im Graf Verlag veröffentlichten Buches. Aber sie wurde überarbeitet und ergänzt um ein Vorwort der Autorin und eine weitere Geschichte, die einen hoffnungsvollen Ausblick auf die Zukunft enthält.

Hardcover Leinen, Diogenes Verlag, 240 Seiten
26. Februar 2020, 22 Euro
ISBN 978-3-257-07094-1

»Muldental« von Daniela Krien wurde mir freundlicherweise vom Diogenes-Verlag als Vorabexemplar zu Rezensionszwecken kostenlos zur Verfügung gestellt. Selbstverständlich wird mein Urteil dadurch in keiner Weise beeinflusst.

# Das Zitat

»Die Wohnung ist kein Zuhause, nur eine Behausung. Manche Siege sind nur die Vollendung einer Niederlage, denkt sie. Manche Siege bleiben ohne Lohn. Recht ist nicht Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist ein Irrlicht im Sumpf.«

# Der Inhalt

In ihrem aktuellen Buch beleuchtet Daniela Krien elf Einzelschicksale. Die Protagonisten stammen allesamt aus dem Tal der Mulde, die beschriebene Zeit ist jene nach der Wende 1989. So wie die Bevölkerung in dieser Gegend wieder und wieder die Schäden durch Überschwemmungen zu beheben hat, so muss sie auch mit dem sozialen Erdbeben klarkommen, welches nach dem Zusammenbruch der DDR die Bürgerinnen und Bürger überrollt. Dass die Wende ja nicht nur ein weltgeschichtlicher Paukenschlag, sondern auch und vor allem einer für 18 Millionen Einzelpersonen gewesen ist, ruft Daniela Krien uns in ihren Muldentaler Geschichten ins Gedächtnis.

# In aller Kürze

Da ist beispielsweise Anne, die sich während ihrer Ausbildung im Westen Anfeindungen ausgesetzt sieht, gegen die sie sich zu wehren versucht. Oder Bettina und Maren, die es in Anbetracht ihrer prekären Situation mal mit Prostitution probieren wollen.

Juliane und Wiebke haben zusammen Kunstgeschichte studiert. Nun hat Wiebke drei Kinder, ist mit einem Professor verheiratet – und Juliane putzt bei ihr, um sich und ihr Kind über die Runden zu bringen. So wie Otto ist es vielen ergangen: Er hat sich von den Raubtieren der Markwirtschaft erst in den finanziellen und dann in den faktischen Tod treiben lassen.

Ludwig ist im knatternden Wartburg auf dem Weg zu seiner Schwester, die er 28 Jahre nicht gesehen hat. Gunnar, der Daumenlutscher, begeht mit 15 einen Mord und kehrt nach weiteren 15 Jahren an die Mulde zurück. Nina verliert den Zugang zu ihrer Tochter und außerdem Existenz und Lebensmut. Wie ergeht es Paul und Eva, die in der 34. Schwangerschaftswoche ihr Kind töten?

Traurig macht das Schicksal des lumpigen Zigarettensammlers, der – wie so viele nach der Wende – erst den Job, dann die Frau und schließlich den Verstand verloren hat.
Nur Töpfer Thomas Novacek erkämpft sich im Laufe der Jahre ein sonniges Plätzchen im Leben und findet in Maren (die ihren Prostituierten-Job aufgegeben hat) endlich die Frau, die ihn versteht.

# Die Form

Daniela Krien hat, wie sie in ihrem Vorwort zu »Muldental« schreibt, über einen längeren Zeitraum kleine Randnotizen gesammelt. Gehört, gelesen, aufgeschnappt. Aus diesen Samen sind elf Kurzgeschichten geboren worden, deren Protagonisten teilweise etwas miteinander zu tun haben oder hatten.

Neun von elf Episoden-Titeln bestehen aus nur einem Wort, welches außerordentlich treffend gewählt ist.

Muldental wird erzählerisch eingerahmt vom Schicksal Thomas Novaceks. Thomas ist einer, der aus einer Niederlage viele Jahre nach der Wende doch noch als zufriedener Mutmacher hervorgeht.

Sprachlich leuchtet Daniela Kriens Talent zur Leichtigkeit wie schon in »Die Liebe im Ernstfall« über allen Geschichten. Das Zurückhaltende ihrer schnörkellosen Sprache erzeugt eine leichte, eine schlichte und präzise Eleganz, die sehr gefällig ist, gut zu lesen und den Inhalt vor die Form treten lässt.

# Mein Fazit

Womöglich werde ich doch noch ein Kurzgeschichten-Fan, denn nach Joey Goebels »Irgendwann wird es gut« und Benedict Wells‘ »Die Wahrheit über das Lügen« ist »Muldental« die dritte Sammlung kleiner Geschichten, die mir ausnehmend gut gefallen hat.

Es bereitet mir großen Genuss, NICHT jede Tatsache auf einem Silbertablett mit garnierenden Ausrufezeichen und erhobenen Zeigefingern serviert zu bekommen. Ich liebe diese »Moment-mal«-Momente, wenn unter dem gelupften Salatblatt die eigentliche Köstlichkeit der Story zutage tritt. Und ich genieße es sehr, zwischen den Zeilen zu lesen und auf die leisen Töne der Erzählung zu achten.

Die leisen Töne – erzeugt durch Prägnanz und treffsicheres Formulieren nämlich – sind es, die Daniela Krien meisterhaft anschlägt und wofür ich sie schon in »Die Liebe im Ernstfall« bewundert habe. Diese fast stillen Töne – das Unausgesprochene im Text – haben mir beim Lesen von »Muldental« mehrmals das Herz zerrissen, die Kehle zugeschnürt und Tränen fließen lassen.

Daniela Krien beherrscht die Kunst der wörtlichen Rede, aber auch ihr Talent der Darstellung von Emotionen durch knappwortige Beschreibung von Gestik und Mimik ist herausragend. Diese Gabe ist durchaus vergleichbar mit dem berühmten »Blick« des Fotografen. Sowohl die Techniken des Fotografierens als auch die des Schreibens kann man lernen, das ist Handwerk. Aber das Gespür für den perfekten Bildausschnitt, für die treffende Wortwahl, das haben nur wenige. Genau darin liegt das genial-sprachliche Talent von Daniela Krien.

Ich ziehe meinen Lektorinnen-Hut vor dieser Autorin und freue mich auf viele weitere sprachliche Geniestreiche aus ihrer Feder. Ich bin jetzt Fan.

Claudia Stieglmayr

Außer »Muldental« habe ich von Daniela Krien »Die Liebe im Ernstfall« gelesen und hier besprochen.

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