Die Wahrheit über das Lügen von Benedict Wells Rezension

Benedict Wells »Die Wahrheit über das Lügen: Zehn Geschichten«

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Hardcover Leinen, Diogenes Verlag, 256 Seiten
29. August 2018, 22 Euro
ISBN 978-3-257-07030-9

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#Das Zitat

»›Ein paarmal hätten Sie mich fast gehabt, weil Sie selbst so überzeugt wirkten‹, gestand Winkler. ›Aber manches fand ich einfach übertrieben. Das mit James Cameron zum Beispiel oder die schlechten Original-Prequels mit dem herumhüpfenden Lichtschwert-Yoda.‹«

#Der Inhalt

Die folgenden Sätze sind der Versuch, die Inhalte der unfassbar kompakten und faszinierenden Geschichten wiederzugeben. Tatsächlich hätte jede einzelne von ihnen einen eigenen Blog-Beitrag verdient.

1. Henry findet während einer Wanderung ins Gebirge der Vergangenheit total verstört in die Gegenwart zurück, in der sein Sohn tot ist und die Tochter längst aus dem Haus.

2. Im Grundschulheim sind weder Herkunft noch Vergangenheit wichtig: Die Gemeinschaft ist das, was zählt.

3. Was geschieht, wenn die Muse ein Mann ist und Schriftstellerin Margo küsst? Wird Margo die Liebe für die Leidenschaft ermorden? Ja, das wird sie.

4. Nur Ping Pong zu spielen ist möglich. Was Isolation mit Menschen macht, wie es sein kann, dass sie zur vertrauten Geborgenheit wird, erleben zwei Männer in einem Raum ohne Tageszeit.

5. Eine alte Frau erzählt wildfremden Menschen von ihrem Kater Richard; wie er zu ihr kam, was er so tut, wenn er sie begrüßt. Nur die aktuellste Information bleibt unausgesprochen und wird doch offenbar.

6. In einer Londoner Bibliothek unterhalten sich Bücher im Sprachduktus der Charaktere ihrer Autoren. Nur die bekanntesten Romanciers kommen in der Nacht der Bücher zu Wort, die unbekannteren müssen schweigend Platz machen, und Hemingway randaliert.
Die »Nacht der Bücher« sollte ursprünglich ein Kapitel in »Vom Ende der Einsamkeit« werden.

7. Der erfolglose Drehbuchautor Adrian Brooks landet in der Vergangenheit – kurz vor der Entstehung von Star Wars. Er benutzt das Wissen von heute, um George Lucas auszubooten. Als er einem Journalisten Jahrzehnte später die Wahrheit über das Lügen erzählt, wird ihm kein Wort geglaubt.

8Die Fliege im Limonaden-Glas beschert der Verlegergattin die erschütterne Erkenntnis über ihre Situation und schenkt ihr dadurch die Kraft, sich aus ihrem goldenen Käfig zu befreien.

9. Stéphane und Eric werden von ihrem Vater verprügelt, die Mutter steht hilflos daneben, bis der ältere Eric sich schließlich stark macht und sich gegen den Vater stellt. Die Entstehung der Angst sollte ursprünglich ebenfalls ein Kapitel in »Vom Ende der Einsamkeit« werden.

10. Wie sehr Eltern und Kinder einander missverstehen können, das erlebt Daniel nicht nur zum 80. Geburtstag seines Vaters, als er während einer Spritztour mit dem Oldtimer den hunderttausendsten Kilometer verpasst, sondern auch noch später anhand dessen, was ihm vererbt wird.

#Die Form

»Die Wahrheit über das Lügen« vereint zehn Geschichten in einem Buch. Sie entstanden zwischen 2008 und 2017, kommen alle gleichermaßen sprachlich elegant und flink in Schwung und lassen sich sowohl häppchenweise als auch in einem Rutsch genießen. Mal sind es Ich-Erzähler und mal auktoriale Erzähler, die uns die Storys präsentieren. Neun Geschichten sind zwischen 8 und 22 Seiten lang, die mit 70 Seiten längste, aber auch kurzweiligste Geschichte gab dem Buch den Namen. Benedict Wells sagt in einem Interview, dass ihm einmal Ähnliches widerfahren ist: Eine Idee, an der er arbeitete, war anderswo ebenfalls umgesetzt worden.

#Mein Fazit

Kester Schlenz vom Hamburger Magazin stern sagt über Wells: »Mann, kann der Mann schreiben! Benedict Wells ist wohl eines der größten Talente, die unser Land in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Er verfügt über diese Leichtigkeit des Schreibens, die jeden mit Neid erfüllt, der sich daran schon mal versucht hat. Wie selbstverständlich kommen seine Figuren daher, und wir wollen sofort mehr von ihnen wissen.«
Ich möchte mich Schlenz voll und ganz anschließen. Diese Leichtigkeit, von der er spricht, ermöglicht es Jedermann, die Wells-Geschichten zu genießen; wegnaschen und drübergrübeln – beides ist gleichermaßen möglich.
Wie ja seit »Irgendwann wird es gut« bekannt ist, bin ich im Grunde absolut kein Fan von Kurzgeschichten. »Die Wahrheit über das Lügen« ist nun schon die zweite Ausnahme, die die Regel bestätigen soll. Benedict Wells hat es mit zwei Geschichten (Richard und Hunderttausend) geschafft, mich derart zu Tränen zu rühren, dass mein Sohn mich besorgt trösten wollte. Mit Die Fliege und Die Muse zeigt Wells, wie zupackend kämpferisch und entschieden handelnd eine weibliche Seele sein kann. Und sowohl Die Nacht der Bücher als auch Die Wahrheit über das Lügen sind sehr geniale und unfassbar kurios-witzige Gedankenspiele, die mich absolut begeistert haben.
So ist Benedict Wells also nach »Becks letzter Sommer«, »Spinner« und »Vom Ende der Einsamkeit« wieder einmal ein großer Coup gelungen. Ich bin sehr gespannt auf sein nächstes Projekt.

Claudia Stieglmayr

Wie oben erwähnt, habe ich außerdem von Benedict Wells gelesen und kann wärmstens empfehlen: »Becks letzter Sommer«, »Vom Ende der Einsamkeit« und »Spinner«.

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