Vorsicht, Schulwechsel!

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Überall in Deutschland steht sie dieser Tage an: die Entscheidung, welche Schule für mein Kind nach der Grundschule die richtige ist. Bei uns auch. Zum zweiten Mal.

# Vor vier Jahren war alles einfacher

Ich habe das Gefühl, dass vor vier Jahren alles leichter war. Oder der Weg für Kind I war aufgrund der Schulnoten klarer vorgezeichnet. Kann auch sein. Vor vier Jahren fiel in Schleswig-Holstein die Schulempfehlung der Grundschule zum ersten Mal weg, das Beratungsgespräch war ein absurdes Herumgeeiere, in dem die Lehrerin herausfinden wollte, was wir denn so vorhatten, um darauf etwas Schwammiges zu sagen. Ich verriet aber nichts, sodass man sich schließlich genötigt sah, irgendwas zu sagen: »Wir sind sicher, egal welche Schule das Kind wählen wird, es wird seinen Weg schon machen.« Aha. Das war also die verschlüsselte Gymnasialempfehlung.
Was das Land Schleswig-Holstein zur Schulwahl in einer Broschüre schreibt, findet ihr hier

# Wie kommt es überhaupt zu Schulnoten?

Schulnoten werden immer auch im Klassenkontext gegeben, wie eine deutschlandweite Studie aus dem Jahr 1999 zeigen konnte. Dabei wurden eine Deutsch- und eine Mathearbeit von 1000 Lehrern beurteilt. Die Noten: Von Eins bis Fünf war alles dabei…

In einer leistungsstarken Klasse ist es also vermutlich schwerer, eine gute Zensur zu bekommen. Meine Tochter war damals eines von nur sechs Mädchen und außerdem das einzige Mädchen ohne Migrationshintergrund. Im Halbjahreszeugnis der vierten Klasse war ihre schlechteste Note eine Drei. Also nur eine Drei. Eine einzige.
Dabei kann ich vier Jahre später für meinen Sohn, der eine andere Grundschule besucht, mit Sicherheit sagen: Er kann viel mehr als seine große Schwester zu gleicher Zeit. Aber seine Noten sind lange nicht so herausragend. Sie hatte beispielsweise in Englisch sehr gute Klassenarbeiten geschrieben und auch eine Eins im Zeugnis. Er hat ebenfalls sehr gute Klassenarbeiten geschrieben und bekam eine Drei ins Zeugnis geklatscht. Tja. Andere Lehrer, andere Schule, andere Note.
Wobei wir bei der Generalfrage nach Sinn und Unsinn der Notengebung angelangt wären. Das soll hier aber nicht Thema sein. Ein interessanter Artikel dazu findet sich hier.

# Weichenstellung – von der Schule bis zur Rente

In diesem Jahr gibt es bei uns erstmals wieder eine Schulempfehlung von der Grundschule. Kind II hat eine Empfehlung für eine Gemeinschaftsschule bekommen. Das hatte ich auch so erwartet, glücklich hat es mich nicht gemacht. Aber es geht hier ja auch nicht um mich, sondern darum, dass wir als Eltern jetzt die Verantwortung haben, die richtige Entscheidung für das Kind zu treffen. Es kommt mir vor, als stünden wir jetzt davor, die Weichen bis… ja, bis zur Rente zu stellen. Das ist natürlich Unsinn, fühlt sich aber so an.

Diese Verantwortung lastet derart schwer auf unseren Schultern, dass manche Eltern sogar schon von Schulen träumen und schweißgebadet aufwachen. Kann natürlich auch daran liegen, dass das zurzeit das allgegenwärtige Thema ist.

# Odyssee durch die Schulen am Ort

Innerhalb der vergangenen zwei Wochen habe ich an Veranstaltungen in den drei weiterführenden Schulen im Ort (ein Gymnasium, zwei Gemeinschaftsschulen – eine mit gutem und eine mit schlechtem Ruf) teilgenommen. Drei Eltern-Infoabende, drei Schnuppertage für die Kinder wurden angeboten. Einer der Schulleiter sagte, man solle »ergebnisoffen« Beratungsangebote wahrnehmen.

In der einen Schule wurden wir direkt freundlich von der Unterstufenleiterin persönlich in Empfang genommen und in eine Führung durch eine freundliche Lehrerin gesteckt. In der anderen Schule standen wir etwas verloren herum, die ab und zu vorbeistreunenden Lehrkräfte mochten uns nicht einmal grüßen. Schließlich fanden wir selbst heraus, dass hier ein Grüppchen aus Oberstufenschülern Führungen leiten würde. In der dritten Schule gab es weder eine Begrüßung noch war ersichtlich, wann und wo es Touren durch die Einrichtung geben würde.
Der Infoabend dieser Schule war ähnlich konfus strukturiert, es wurde viel zu viel über das Schulsystem an sich und viel zu wenig über diese spezielle Schule referiert. Wie genau das Ganztagsangebot zum Beispiel aussieht, blieb im Dunkeln, während Schule zwei dazu sogar eine Hochglanzbroschüre verteilte. Dort war auch der beste Schulhof, das fanden unsere Viertklässler immens wichtig. Warum in Schule drei die Hangelstangen im Bereich der Mittel- und Oberstufe und nicht im ganz woanders liegenden Komplex der Unterstufe aufgebaut worden sind, konnte sich niemand erklären. Dafür war dort der Kuchen umsonst.

Was bieten die Schulen?

In Schule eins waren in der Biologie die besten Exponate ausgestellt und im Chemiebereich konnte man aus Kupfer Gold machen; dagegen punktete Schule zwei bei den Viertklässlern mit selbst herzustellenden Fossilien und Probeunterricht. Schule drei protzte mit einer riesigen LED-Videowand, die im Unterricht genutzt werden kann. In Schule eins durften die Kinder in den Musikräumen Instrumente in die Hand nehmen, während der Gitarrenkursus-Leiter an Schule zwei lieber selbst demonstrierte, wie gut er sein Instrument beherrscht. Dafür ist das Gebäude mit zwanzig Jahren auf dem kreisrunden Buckel aber das neueste. Da kann Schule drei überhaupt nicht mithalten; der Schulleiter warb beim Infoabend aber dafür, dass die neuen Schüler nach zwei Jahren Baulärm direkt auf dem Schulhof einen Neubau besiedeln dürfen.

Was will das Kind?

Im Anschluss an den Info-Marathon bat ich Kind II, einmal die Augen zu schließen und sich alle Schulen noch einmal vorzustellen und nachzuspüren, an welcher es sich am wohlsten gefühlt hatte. Was sonst sollten Zehnjährige wohl beurteilen? Sie können doch überhaupt nicht wissen, was wo auf sie zukommt, was daran liegt, dass die Evolution hellseherische Fähigkeiten als nicht notwendigerweise überlebenssinnvoll eingestuft und wenig gefördert hat.

# Das Beratungsgespräch

Was haben wir außer einer großen Erschöpfung nun aus dieser Schulhof-Odyssee für uns herausgefunden? Es gibt ein Bauchgefühl-Ranking. Das deckt sich nun aber eben leider nicht mit der Empfehlung. Wenn die Eltern sich gegen die Empfehlung für das Gymnasium entscheiden, ist ein Beratungsgespräch verpflichtend. Es ist ein bisschen so wie bei Abtreibungen: Beratung ist Pflicht, verhindert aber die Entscheidung nicht. So können Eltern dann auch nach negativem Beratungsgespräch das Kind an der Oberschule anmelden, wenn sie dann noch wollen.

Also haben wir ergebnisoffen ein Beratungsgespräch mit der Unterstufenleiterin des örtlichen Gymnasiums geführt. Die hat sich das Zeugnis angesehen, sich angehört, wie ich denn die Lage so sehe, und sie hat auch Kind II befragt, wo es denn zur Schule gehen möchte. Und dann hat sie lächelnd gesagt: »Ich kann Ihnen keinesfalls davon abraten, Ihren Sohn hier anzumelden.« Und an Kind II gewandt: »Ich würde mich freuen, dich an dieser Schule zu sehen.«

# Fazit

Das alles hier schreibt übrigens eine, die selbst keine Gymnasialempfehlung hatte, trotzdem hinging und ohne Schwierigkeiten und Ehrenrunde das Abitur bestanden hat. Ich denke, wir werden noch ein paar Mal schlafen und dann die richtige Entscheidung treffen. Mit Bauchgefühl.

Claudia Stieglmayr

4 comments / Add your comment below

    1. Vielen Dank, Markus! Ich bin wirklich sehr froh, dass ich mit diesen Entscheidungen durch bin. Zum Glück habe ich nur zwei Kinder. Liebe Grüße!

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